Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts
Das Göttinger Graduiertenkolleg "Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts" wird die symbolischen Formen und die Träger derjenigen Expertenkulturen erforschen, welche die okzidentalen Gesellschaften prägten und prägen. Denn nicht erst seit dem Beginn der Moderne wurden die Gesellschaften Europas von einer zunehmenden Ausdifferenzierung verfügbarer Wissensbereiche und deren Delegation an die Sozialkategorie des "Experten" überformt: In einem gestreckten Prozess wurden vielmehr schon zwischen ca. 1100 und ca. 1600 solche Wissensbereiche definiert, symbolisch repräsentiert, einschlägigen Trägergruppen zugewiesen, institutionell verstetigt und damit in die Struktur der stratifizierten europäischen Gesellschaften eingeschrieben.Die Grundhypothese des Kollegs lautet, dass die soziale Dynamik, die durch die Schaffung von Expertenkulturen in Gang gesetzt wurde, nicht unabhängig von den mentalen Widerständen gedacht werden kann, die sie hervorgerufen hat. Charakteristisch für die im späteren Mittelalter entstehende Relation von ,Expertentum' und ,Gesellschaft' ist auf der Seite der Nicht-Experten die unaufhebbare Ambivalenz von Systemvertrauen und Expertenkritik: Je stärker die Menschen in ihrem alltäglichen Leben gezwungen sind, den von Experten verwalteten Wissenssystemen zu vertrauen und auf diese zurückzugreifen, umso ausgeprägter ist die Tendenz, den Experten selbst als den Exponenten der Wissenssysteme zu misstrauen. Dieser ambivalente Zustand ist als eine bis in die Gegenwart anhaltende Dialogik aufzufassen, die einerseits für die Definition und Erweiterung von Wissensbeständen, andererseits aber auch für die Ausprägung zeitkritischer und sozialromantischer Einheits-, Ganzheits- und Einfachheitsutopien verantwortlich ist.
Antragsteller
Prof. Dr. Frank Rexroth (Sprecher), Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Universität Göttingen
Prof. Dr. Udo Friedrich (Stellvertretender Sprecher), Seminar für Deutsche Philologie, Abt. Germanistische Mediävistik, Universität Göttingen
Prof. Dr. Hartmut Bleumer, Seminar für Deutsche Philologie, Abt. Germanistische Mediävistik, Universität Göttingen
Prof. Dr. Thomas Haye, Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitstudien, Abt. für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit, Universität Göttingen
Prof. Dr. Thomas Kaufmann, Vereinigte Theologische Seminare, Universität Göttingen
Prof. Dr. Franziska Meier, Seminar für Romanische Philologie, Universität Göttingen
Prof. Dr. Hedwig Röckelein, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Universität Göttingen
Prof. Dr. Eva Schumann, Institut für Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung, Abt. für Deutsche Rechtsgeschichte, Universität Göttingen